Mai 2021. Es war ein windiger und für die Jahreszeit verhältnismäßig sehr kühler Tag in Sankt-Peter Ording. Voller Vorfreude fuhren mein Mann und ich mit unseren beiden Galgos zum besagten Hundestrand, der nur wenige Kilometer von unserem Ferienhaus entfernt lag. Ein sehr weitläufiger Strandabschnitt, bei dem der Horizont unendlich weit entfernt zu sein schien. Wir liefen bis zur Säule, die den Anfang des Hundebereiches kennzeichnete und leinten folgsam erst an diesem Abschnitt unsere Galgos ab.
Nur wenige Hunde und deren Besitzer waren in Sichtweite. Für uns Wahlberliner, die den Trubel und das hektische Stadtleben gewohnt waren, löste dieser Moment ein befreiendes Gefühl aus. Überfüllte Auslaufgebiete sind für uns Alltag. Sowohl in Parkanlagen als auch im Wald – in einer Stadt wie Berlin ist man nie für sich allein. Umso mehr genossen wir diesen Moment der Freiheit und das Gefühl, endlich wieder durchatmen zu können.
Unsere Galgos freuten sich sichtlich darüber, den Sand unter ihren Pfoten zu spüren und rannten unbeschwert umher. Der ungewohnte Duft nach Meer und Muscheln schien für sie aufregend zu sein und so schnupperten sie an allem, was der Sandwatt zu bieten hatte.
Ihre gewohnte „Ich-bin-der-Hase-jag-mich-doch“-Spieleinlage durfte im Anschluss nicht fehlen. Es war ein schönes Gefühl zu sehen, wie gut unser Rüde und unsere Hündin miteinander harmonieren.
Maverick hatten wir adoptiert als er drei Jahre alt war. Er wurde von seinem Galguero bei der Tierschutzorganisation abgegeben. Nur ein halbes Jahr später kam die einjährige Galga Kaja dazu, die wir von einer Pflegestelle geholt hatten. Es war uns wichtig, dass Maverick beim Besuch der Pflegestelle dabei ist, um ihm als Ersthund die Entscheidung zu überlassen. Und es kam wie es kommen sollte: Maverick mochte Kaja auf Anhieb.
Unweit von uns entfernt rannte ein kleiner Hund im schnellen Tempo in Richtung Dünen. Maverick und Kaja waren beide im Spielmodus und liefen dem Hund nach. Ich ließ meine Hunde nie aus den Augen und war immer darauf bedacht in Hundeausläufen sehr wachsam zu sein. Zu groß war die Angst, dass etwas passieren könnte. Insbesondere bei Hunden mit stark ausgeprägten Jagdinstikt wie den Galgos.
Ich hatte Maverick genau im Blick und seine Körpersprache deutete darauf hin, dass er mit ihm spielen wollte. Plötzlich und wie aus dem Nichts kippte es vom Spielmodus in Jagdmodus und Maverick packte den kleinen Hund und schüttelte ihn. Ich schrie ‚Maverick! Aus!‘; ‚Maverick!‘, ‚Maverick!‘ so laut ich konnte. Auch meinen Mann hörte ich rufen und wir rannten beide so schnell wir konnten los. Immer und immer wieder riefen wir nach ihm während wir rannten. Unsere Stimmen wurden immer hysterischer….und verzweifelter. Aber er schien wie in seinem Rausch gefangen zu sein und schüttelte den kleinen Hund immer und immer wieder. Im Sandwatt sackten wir im schlammigen Boden ein und unsere Beine fühlten sich so schwer wie Blei an. Wir rannten und rannten und hatten das Gefühl, wir kommen kein Stück voran. Erst jetzt begriff ich, wie weit Maverick von uns entfernt war. Ich habe die Entfernung völlig unterschätzt.
Ein anderer Hundebesitzer war glücklicherweise gerade in dem Moment in der Nähe von dem Ereignis und schmiss seine Hundeleine in das Geschehen. So war Maverick kurzerhand abgelenkt und ließ von dem Hund ab. Inzwischen waren auch wir in seiner Nähe angekommen und ich versuchte trotz meines in Panik und Angst versetzten Zustands ruhig zu bleiben. Ich nahm die Leckerlies aus meiner Tasche und lockte ihn damit an. Glücklicherweise gelang mir damit seine Aufmerksamkeit. Als er kam, leinte ich ihn an. Dabei merkte ich wie das Adrenalin durch meinen Körper zog und wie stark ich zitterte.
Der kleine Hund war in Richtung Dünen weggelaufen und der Besitzer rannte hinter ihm her. Ich ließ unsere beiden Hunde bei meinem Mann zurück und rannte dem Besitzer hinterher. Während ich lief, schossen mir die schlimmsten und absurdesten Gedanken durch den Kopf: der kleine Hund ist verletzt und wird es sicher nicht überleben…unser Maverick wird bestimmt aufgrund seines Verhaltens eingeschläfert…oder? Wir werden ihn hier in unserem Urlaub das letzte Mal sehen….
Ich weiß nicht wie viele Kilometer ich zurücklegte und es schien kein Ende in Sicht. Da klingelte mein Handy und mein Mann sagte, ich solle wieder Richtung Strand zurückkehren. Es sei alles in Ordnung. Ich war verwirrt. Meine Kräfte ließen nach. Als ich zum Strand wieder zurückkam, standen die Besitzer des kleinen Hundes und mein Mann beisammen. Der kleine Hund, der sich als Chihuahua herausstellte war unverletzt. Kein Kratzer, keine Bissspuren, nichts. Und durch die Tatsache, dass sich der Hund völlig verkrampft hatte, konnte ihm Maverick durch das Schütteln glücklicherweise nicht das Genick brechen. Lediglich zugesabbert und verängstigt war der Kleine.
Ich konnte es nicht fassen, aber er war völlig unversehrt. Die Besitzer waren zu meinem Erstaunen sehr verständnisvoll. Uns treffe keine Schuld. Es seien nun mal Jagdhunde. Bis heute bin ich ihnen dankbar für solch eine freundliche Reaktion.
Wir sind zum nächstgelegenen Restaurant am Strand und ich bestellte mir einen Schnaps, um den Schock zu verdauen. Wir hielten noch einige Tage Kontakt, um sicherzugehen, dass der Chihuahua keine Folgeschäden davontrug. Wir hatten Glück. Viele solcher Vorfälle haben kein Happy End. Die darauffolgenden Tage trug Maverick ein Maulkorb am Hundestrand.
Vielen Dank an Christina und Steffen